Der vollelektrische Cadillac Vistiq macht den Escalade überflüssig
Cadillac strebt eine umfassende Palette an Elektrofahrzeugen an und ist fast am Ziel. Es gibt einen Standard-Crossover-SUV (den Lyriq), ein Einstiegsmodell (den Optiq), eine Elektroversion des Flaggschiffs Escalade (den Escalade IQ) und sogar ein barockes Vorzeigemodell (den Celestiq). Aber etwas fehlt noch.
Für eine moderne Luxusmarke ist ein mittelgroßer Crossover mit drei Sitzreihen unverzichtbar. Kunden, denen ein Toyota Highlander zu deklassiert ist, brauchen ein Auto, mit dem sie ihre Kinder zum Lacrosse-Training bringen können, wollen aber vielleicht nicht so ein großes Auto wie einen Escalade. Das ist nicht gerade der aufregendste Designvorschlag, und das spiegelt sich im Cadillac XT6 mit Benzinmotor wider, der sich immer wie ein Platzhalter anfühlte. Sein neues elektrisches Gegenstück, der Cadillac Vistiq (2026), ist alles andere als das.
Wie bei den anderen Elektrofahrzeugen von Cadillac wirkt auch beim Vistiq mehr Aufwand als beim entsprechenden Benzin-Crossover. Cadillac ist so stolz auf den Vistiq, dass das Unternehmen das neue Elektrofahrzeug sogar als „Baby-Escalade“ bezeichnet. Wenn das stimmt, dann ist dieser jüngere Bruder ein echter Überflieger.
Vertrautheit ist keine schlechte Sache
Da bereits eine Handvoll Elektrofahrzeuge die Ausstellungsräume füllten, musste Cadillac mit dem Vistiq keine neuen Design-Wege beschreiten. Dieses dreireihige Modell integriert bekannte Designmerkmale anderer Cadillac-Elektrofahrzeuge in seine einzigartige Form und bietet Platz für sieben oder sechs Passagiere, je nachdem, ob Sie sich für eine Sitzbank in der zweiten Reihe oder für Kapitänssitze entscheiden.
Der Vistiq präsentiert das gleiche selbstbewusste Gesicht, das wir seit dem Debüt des Lyriq im Jahr 2022 von Cadillac-Elektrofahrzeugen kennen. Obwohl Elektrofahrzeuge einen geringeren Kühlbedarf als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor haben, bestand Cadillac dennoch auf einem großen Kühlergrill, flankiert von klobigen vertikalen Scheinwerfern und schmalen Tagfahrleuchten, die die Breite und Höhe der Frontpartie betonen. Das macht den Slogan „Baby Escalade“ passend und hinterlässt einen ebenso starken ersten Eindruck wie beim größeren Escalade IQ . Es ist auch deutlich wirkungsvoller als das Heckdesign, das ebenfalls von anderen Cadillac-Elektrofahrzeugen übernommen wurde und eine weniger stimmige Kombination aus Leuchten, Reflektoren und Zierelementen darstellt.
Im Innenraum bietet der Vistiq drei Reihen mit recht bequemen Sitzen – selbst die dritte Reihe ist für mittelgroße Erwachsene bequem und verfügt über große Getränkehalter, USB-C-Anschlüsse und sogar ein eigenes Glasdach. Die niedrige Fensterlinie und das schmale Armaturenbrett vermitteln ein großzügiges Raumgefühl und bieten gleichzeitig eine für ein großes, hohes Fahrzeug überraschend gute Sicht nach vorn. Doch erst die Vielfalt an Materialien und Ausstattungsoptionen verleiht dem Vistiq das Gefühl eines echten Luxusfahrzeugs. Der Testwagen – ein höherwertiges Premium-Luxusmodell – war mit blauen Lederpolstern mit weißen Paspeln ausgestattet, die durch Holz- und Metallelemente harmonisch ergänzt wurden und eine willkommene Abwechslung zu den vielen monochromen Interieurs darstellten.
Fährt wie ein Cadillac
Dieses Elektro-SUV ist ein Familienauto, hat aber Spezifikationen, die denen der Cadillac V-Serie würdig sind. Der serienmäßige Allradantrieb mit zwei Motoren wird vom Lyriq-V (sowie vom Chevrolet Blazer EV SS) übernommen und leistet 615 PS und 850 Nm Drehmoment. Laut Cadillac beschleunigt es Sie und sechs Begleiter in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Das sind nur 0,1 Sekunden weniger als beim BMW iX M70 xDrive , der ohne dritte Sitzreihe auskommt.
Im Velocity Max-Fahrmodus fühlt sich die volle Leistung so kraftvoll an, wie die Zahlen vermuten lassen. Doch nur das Fahrerlebnis lässt dieses Adjektiv zu. Ausgestattet mit der optionalen Luftfederung (Stahlschraubenfedern und adaptive Dämpfer sind Standard) schwebte der Vistiq über den bröckelnden Asphalt Michigans – ohne die Schlaffheit typischer Cadillac-Landyachten. Unebenheiten lassen sich leicht abfedern, indem man die Federung so weich wie möglich einstellt. Die Cadillac-Ingenieure haben jedoch genügend Härte beibehalten, um zu verhindern, dass die Insassen beim Fahren auf den Wellen der Straßenunebenheiten durchgeschüttelt werden.
Eine weitere bemerkenswerte Option ist eine Allradlenkung wie im Escalade IQ. Sie verfügt nicht über den spielerischen Ankunftsmodus des IQ, sodass Sie nicht seitlich in Parklücken krabbeln müssen, bietet aber dennoch die Vorteile eines kleineren Wendekreises. Das erleichterte nicht nur das Einparken, sondern verlieh dem Vistiq auch ein stabileres und präziseres Kurvengefühl. Wie die Fahrqualität vermittelte auch das Handling ein Cadillac-typisch entspanntes Fahrgefühl, ohne dabei zu sehr in Unpräzision und Schlampigkeit abzugleiten. Mit anderen Worten: Die Fahrwerksabstimmung des Vistiq ist genau das, was sie sein muss.
Super Cruise wird immer besser
Die meisten Technologien des Vistiq stammen von anderen aktuellen Cadillac-Modellen. Das gebogene 33-Zoll-Display im Armaturenbrett ist identisch mit dem des Cadillac Optiq und Lyriq und läuft mit dem neueren Android-basierten Infotainmentsystem von General Motors. Das bedeutet, dass Sie zwar integrierte Google-Apps erhalten, aber nicht Apple CarPlay oder eigenständiges Android Auto . Ein AKG-Audiosystem mit 23 Lautsprechern und Dolby-Atmos-Technologie ist ebenfalls serienmäßig und wird im Modelljahr 2026 in allen Cadillac-Modellen eingeführt.
Der Vistiq verfügt jedoch über ein optionales Augmented-Reality-Head-up-Display, das beispielsweise Geschwindigkeit, Abstand zur adaptiven Geschwindigkeitsregelung und über die Fahrspur projizierte Pfeile anzeigt, wo man abbiegen muss, wenn man die integrierte Google Maps-App des Vistiq nutzt. Einige Autohersteller wie Mercedes-Benz bieten ähnliche Funktionen an, aber die von Cadillac sind gut in den kleinen verfügbaren Platz integriert. Auch dieses Display nutzt Technologie des GM-Unternehmens Envisics, um Verzerrungen zu minimieren. Um seine Wirksamkeit jedoch wirklich zu testen, bedarf es einer genaueren Untersuchung unter verschiedenen Lichtbedingungen.
Der Vistiq dient auch als Startplattform für mehrere wichtige Updates des freihändigen Fahrerassistenzsystems Super Cruise von General Motors. Die automatische Spurwechselfunktion von Super Cruise kann nun Routen folgen und das Fahrzeug bei Einfädelungen und Kreuzungen auf die richtige Spur bringen. Dies ist eine große Verbesserung gegenüber dem Vorgängermodell, das nur auf langsamere Fahrzeuge vorn reagierte und daher mehr Überwachung benötigte, um nicht auf der falschen Spur zu landen. Bei dieser Testfahrt funktionierte das System recht gut, geriet jedoch in einer Situation mit unklaren Fahrbahnmarkierungen etwas durcheinander.
Auch die Benutzeroberfläche von Super Cruise wurde optimiert. Super Cruise (oder adaptive Geschwindigkeitsregelung) kann nun vor der Fahrt vorgewählt werden. Sobald Sie eine geeignete Straße erreicht haben, wird im Kombiinstrument eine Aufforderung zur Aktivierung des Systems angezeigt. Dadurch wird die Nutzung von Super Cruise deutlich vereinfacht, und die Integration in das Head-up-Display erleichtert die Überwachung der Systemaktivitäten nach der Aktivierung.
In puncto Effizienz immer noch ein Cadillac
Der Vistiq verwendet den gleichen 102-Kilowattstunden-Akku wie der Cadillac Lyriq mit zwei Sitzreihen. Offizielle Angaben lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor, Cadillac rechnet jedoch mit einer Reichweite von mindestens 480 Kilometern. Diese dürfte aufgrund des höheren Gewichts und der kastenförmigeren Form des Vistiq geringer ausfallen als die 512 Kilometer des Lyriq mit Allradantrieb. Wie sein großer Bruder, der Escalade IQ, setzt auch der Vistiq auf einen großen Akku – statt auf Effizienz –, um eine akzeptable Reichweite zu erreichen. Damit bedient er ein Klischee der Ineffizienz, das auf die spritfressenden Cadillacs von einst zurückgeht.
Auch die Ladeleistung ist akzeptabel, aber nicht außergewöhnlich. Cadillac gibt an, dass der Vistiq mit bis zu 190 Kilowatt Gleichstrom schnellladen kann. Das reicht aus, um an einer entsprechend leistungsstarken Ladestation in 10 Minuten eine Reichweite von 130 Kilometern wiederherzustellen. Das serienmäßige 11,5-kW-Wechselstrom-Bordladegerät und das optionale 19,2-kW-Gerät können pro Ladestunde 47 Kilometer bzw. 75 Kilometer zurückgewinnen.
GM plant die Einführung des North American Charging Standard (NACS), der Vistiq verwendet jedoch vorerst noch einen CCS-Anschluss (Combined Charging Standard). Ein Adapter ermöglicht das Laden an Tesla Superchargern und anderen NACS-Stationen. Wie andere GM-Elektrofahrzeuge bietet der Vistiq bidirektionale Ladefunktion und kann so als Notstromquelle für zu Hause dienen.
Wer braucht einen Escalade IQ?
Die Preise beginnen bei 78.790 US-Dollar für die Basisausstattung „Luxury“ und unterbieten damit andere dreireihige Luxus-Elektro-SUVs wie den Mercedes-Benz EQS SUV und den Volvo EX90 . Der Rivian R1S hat einen niedrigeren Grundpreis und bietet echte Geländegängigkeit, hat aber in der Basisversion eine etwas geringere Reichweite als der Vistiq. Der Lucid Gravity lässt den Rest des Feldes in puncto Reichweite, Handling und Innenraumnutzung alt aussehen, die derzeit einzige Ausstattungsvariante „Grand Touring“ beginnt jedoch bei 96.550 US-Dollar.
Wie bei vielen Luxusfahrzeugen ist dieser Grundpreis jedoch etwas irreführend. Der Vistiq Premium Luxury verfügt zusätzlich über die Luftfederung und Allradlenkung, die das Fahrerlebnis des Testfahrzeugs so angenehm machten, sowie über das Augmented-Reality-Head-up-Display – beginnt aber bei 93.290 Dollar. Das ist immer noch günstiger als ein Gravity Grand Touring, aber vor allem deutlich günstiger als der Startpreis von 129.990 Dollar für den Escalade IQ.
Der Vistiq bietet das markante Design und die dreireihige Funktionalität des Escalade IQ, jedoch ohne die Kompromisse, die die gigantischen Proportionen dieses SUV mit sich bringen. Mit seinem immensen Gewicht und dem überdimensionierten Akku war der Escalade IQ schon vorher unsinnig. Der Vistiq macht ihn überflüssig.
